Saturday, March 12, 2005

 

Grundsätze für eine nationale Übereinkunft zur Gestaltung eines demokratischen Staates im Iran

Vorschlag:

Abbas Amirentezam


1. Etablierung der Volkssouveränität
Das iranische Volk blickt zurück auf einen über ein Jahrhundert andauernden Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit - wie die nationale Bewegung für die Verstaatlichung der Erdölindustrie unter der Führung von Dr. Mossadegh – sowie für Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung.
Unser Volk verfügt über die Fähigkeit, Erfahrung und Kraft, um sein Schicksal selbst zu bestimmen und seine Souveränität in einer frei gewählten Demokratie auszuüben.
Die Errichtung einer Volksherrschaft, die auf dem freien Willen der Bürger beruht, ebnet den Weg für den Aufbau eines fortschrittlichen, unabhängigen und friedliebenden Iran.
Die Volksherrschaft ergibt sich aus der Teilnahme der Iraner - ohne jegliche Diskriminierung aufgrund von Rasse, Sprache, Religion, politischer Überzeugung und Geschlecht. Die demokratischen Rechte der Bürger sind unübertragbar, unteilbar und können nicht überlassen oder entzogen werden.


2. Etablierung des parlamentarischen Systems
Das iranische Volk hat im Laufe seiner politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen seinen entschiedenen Willen zur Errichtung eines demokratischen Systems gezeigt, das als geeignetste Form den allgemeinen Willen repräsentiert.
Die Erfahrung parlamentarischer Demokratien hat gezeigt, wie effektiv Kompetenzen und Leistungen der Bürger im Interesse aller eingesetzt werden können.
Dieses parlamentarische System ist auf der Grundlage der vollständigen und klaren Trennung zwischen Religion und Staat zu errichten.


3. Ausführende Organe mit Verantwortlichkeit und Kompetenz
Das iranische Volk beabsichtigte im Lauf seines Kampfes stets die Etablierung eines unabhängigen politischen Systems, in dem die Exekutive auf allen Ebenen dem Willen der Bevölkerung unterworfen und ihr gegenüber verantwortlich ist. Aus diesem Grund müssen die Befugnisse und Zuständigkeiten dieser in einem von den Bürgern gewollten und verabschiedeten Grundgesetz festgelegt werden.
Die Einbindung der Fähigkeiten aller Bevölkerungsgruppen, speziell der jungen Generation und der Frauen, in die künftige Führung des Staates, stellt das Vertrauen des iranischen Volkes in diese Führung und die Innovationskraft, die von ihr ausgeht, sicher.


4.Etablierung einer unabhängigen und unparteiischen Rechtsprechung
Das iranische Volk hat in seinem Kampf für eine gerechte Gesellschaft stets auf die Notwendigkeit einer unabhängigen und unparteiischen Justiz hingewiesen. Eine solche Justiz gilt als Garantin der Sicherheit. Die Korruptheit und Abhängigkeit der Justiz von den Herrschenden wird als eine der Hauptgründe für die Fehlentwicklungen in der iranischen Gesellschaft angesehen.
Das iranische Volk wird bei der Konzeption und dem Aufbau der künftigen Justiz, seine kulturellen, historischen und nationalen Werte, sowie die Errungenschaften demokratischer Gesellschaften und internationaler Menschenrechtsorganisationen berücksichtigen.


5. Notwendigkeit des Anschlusses an die Menschenrechtskonventionen
Wir wissen, dass die Werte, Normen und Ideale, die uns als "die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" bekannt sind, Ergebnisse eines langen und steten Kampfes der gesamten Menschheit sind und dass alle Kulturen an deren Entstehung, Entwicklung und Förderung teilnehmen. Deshalb erachtet das iranische Volk die Menschenrechtserklärung als einen wertvollen Schatz und als eine gemeinsame Errungenschaft der Menschheit. Sie stellt das geeignetste Mittel für einen Dialog zwischen Menschen auf nationaler und internationaler Ebene dar.
Wird sind der Überzeugung, dass ein demokratischer Staat im Iran alle Verträge und Zusatzprotokolle der Menschenrechte bestätigen und verwirklichen wird.


6. Achtung der Rede-, Meinungs- und Glaubensfreiheit
Die Achtung der Menschenwürde ist ohne Achtung der Meinungsfreiheit und ohne die Möglichkeit der freien politischen Betätigung der Bürger nicht denkbar. Die in der internationalen Erklärung der Menschenrechte, den internationalen Abkommen und den Verträgen und Resolutionen der internationalen Organisationen anerkannten Freiheiten gehören untrennbar zu den Verpflichtungen eines demokratischen Staates. Diese Verpflichtungen müssen sich im Grundgesetz widerspiegeln. Die in einem Grundgesetz festgehaltenen Rechte und Pflichten bilden die Grundlage für eine umfassende Entwicklung hin zu einer modernen Gesellschaft.


7. Freiheit der Presse
Die Freiheit der Presse ist eine der grundsätzlichen Rechte einer Demokratie und garantiert eine wirksame Kontrolle der Bürger über die Staatsorgane. Ohne eine Pressefreiheit gibt es keine politische Fortentwicklung. Pressefreiheit ist ein geeignetes Mittel, um gesellschaftlichen Raum für Meinungsaustausch unter der Bevölkerung entstehen zu lassen.


8. Gewaltverzicht, Friedfertigkeit und friedliche Koexistenz
Ein großer Teil der kulturellen Errungenschaften und des nationalen Erbes wurden in sinnlosen Kriegen vernichtet und viele Iraner verloren durch Krieg, sowie durch die Gewalt, die von Diktaturen ausging, ihr Leben. Deshalb gehört die Ächtung des Krieges und der Gewalt zu den wichtigsten Forderungen des iranischen Volkes und ihre Ächtung ist in dem künftigen Grundgesetz zu verankern. Das iranische Volk kann aufgrund seiner Erfahrungen und Möglichkeiten erheblichen Einfluss auf einen kommenden Frieden in der Region und auf internationaler Ebene nehmen. Die Ermutigung von Nationen und Regierungen zu friedlichen Lösungen der Konflikte und Propagierung einer Kultur des konstruktiven Dialogs zwischen den unterschiedlichen Kulturen gehört zu den fundamentalen Prinzipien einer demokratischen Politik. Alle nationalen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Konflikten und Kriegen sind bei der Konzeption und dem Aufbau des gemeinsamen Sicherheitssystems im Rahmen der Vereinten Nationen einzusetzen.


9. Kampf gegen den Terrorismus und Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft zu dessen Beseitigung
Das iranische Volk hat durch Terrorismus und Gewalt großen Schaden erlitten und tiefe Wunden davongetragen. Es ist ebenso über die Leiden, die andere Völker durch Terroranschläge erlitten haben und insbesondere über die Anschläge vom elften September 2001 bestürzt. Aus diesem Grund erklärt das iranische Volk seine Verachtung gegenüber Terroranschlägen, aus welchen Gründen und mit welchen Motiven, wie, gegen wen und wo auch immer, sie erfolgen. Unser Volk ist bereit, all seine Möglichkeiten im Rahmen der Vereinten Nationen im weltweiten Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu mobilisieren. Zur Beseitigung des Terrorismus muss die internationale Gemeinschaft auch dessen Wurzeln und Ursachen, wie Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Arbeitslosigkeit, organisierte Kriminalität, Drogenhandel, Geldwäsche und diktatorische Regime, bekämpfen. Die umfassende Zusammenarbeit des Iran mit der internationalen Gemeinschaft und den internationalen Organisationen sollte in einer kommenden Verfassung verankert werden.


10. Umweltschutz
Wir sind der Meinung, dass der Umweltschutz zu den Pflichten aller Völker und Länder gehört. Die Geschlossenheit aller Länder in diesem Punkt fördert den nachhaltigen Erhalt der Umwelt. Deswegen sollte sich ein demokratischer Staat im Iran zum Schutz der Umwelt verpflichten. Die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet mit allen Ländern und internationalen Organisationen wird in der iranischen Politik eine hohe Priorität besitzen. Garantien für den Umweltschutz sollten in der Verfassung vorgesehen werden.


11. Herstellung der Strafgerichtsbarkeit und Verzicht auf Rache
Das iranische Volk hat tiefe Wunden durch Hinrichtungen, systematische Liquidierung Oppositioneller, willkürliche Verhaftungen, Rechtsbeugung und generell Menschenrechtsverletzungen durch das herrschende Regime davongetragen. Die künftige demokratische Regierung wird auf Basis der demokratisch legitimierten Gesetze und den Normen der internationalen Gemeinschaft Gerechtigkeit ausüben. Die Mitgliedschaft Irans bei dem internationalen Gerichtshof und die Beachtung der Normen der Strafgerichtsbarkeit bei Prozessen gegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ebnen den Weg für eine der iranischen Kultur und Geschichte angemessene Stellung.
Das iranische Volk braucht in der jetzigen krisenhaften Zeit vor allem Einmütigkeit und Solidarität. Es ist angemessen, mit Großmut denjenigen zu verzeihen, die ihre unmenschlichen Taten gegenüber ihren Landsleuten ernsthaft bereuen.


12. Volksbefragung für Veränderungen und Reformen
Da eine Volksbefragung eine Form der Ausübung der direkten Demokratie ist, stellt sie für uns die beste Methode für den gewaltlosen Übergang zu einer Demokratie dar. Bei einem derartigen Referendum kann über zwei Hauptfragen abgestimmt werden:

• Stimmen Sie der Fortdauer des Systems der islamischen Republik zu?
• Stimmen Sie der Etablierung eines auf einem Volksentscheid gestützten demokratischen Systems zu?

Die erste Frage ist notwendig, da das jetzige politische System auf der Grundlage eines Referendums aus dem Jahr 1979 existiert, gleichzeitig jedoch über 75% der jetzigen iranischen Bevölkerung aufgrund ihres Alters an dem Referendum nicht teilhatte und so bis heute keine Gelegenheit besaß, von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch zu machen.
Auf der anderen Seite soll das Regime seine Behauptung, über die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung zu verfügen, mit demokratischen Mitteln und gemäß internationalen Normen unter Beweis stellen. Falls das Regime eine solche Vertrauensfrage übersteht, ist es unsere Pflicht, es anzuerkennen. Es muss uns jedoch erlaubt sein, unsere Vorstellungen weiterhin öffentlich vertreten zu können.

Falls aber das iranische Volk in einem freien, fairen und unter der Beobachtung der internationalen Aufsicht stattfindenden Referendum dem System der Islamischen Republik sein Vertrauen versagt, ist das Regime verpflichtet, dem Ergebnis der Abstimmung Folge zu leisten. Die internationale Gemeinschaft soll dann das Ergebnis des Referendums und die daraus resultierende neue Regierung anerkennen und mit ihr entsprechende diplomatische Beziehungen aufnehmen.

Die zweite Frage des Referendums betrifft die Errichtung eines demokratischen Staates im Iran. Die Vorgehensweise bezüglich der Durchführung eines solchen Referendums habe ich in dem Beitrag "Referendum, warum und wie?" im März 2003 erörtert. Meine Landsleute lade ich nun dazu ein, die dort vorgeschlagene Vorgehensweise zu überprüfen, zu korrigieren und zu ergänzen.

Der Übergang von der jetzigen Situation zu der, wie wir sie uns wünschen, ist ein historischer Prozeß, den das iranische Volk mit seiner Erfahrung und Fähigkeit Schritt für Schritt und ohne Gewalt zu Ende führen will. Dabei ist die Unterstützung und Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für uns von zentraler Bedeutung. Die Identifikation der Bevölkerung, allen voran der Jugend und der Frauen, mit diesen Zielen und Programmen garantiert uns den Erfolg bei der Errichtung des gewünschten demokratischen Staates. Ich habe in den letzten 26 Jahren viel Zeit damit verbracht, über einen friedlichen Übergangsprozeß nachzudenken und bin zu Resultaten gelangt, die ich aus nationalem Pflichtgefühl zum Zweck des Meinungsaustausches und der Entwicklung der besten Lösungen für einen friedlichen Übergang zu einer Volksherrschaft dem iranischen Volk zur Verfügung stelle. Wenn man die Entwicklung nach dem kalten Krieg betrachtet, dann glaube ich, daß wir es anstatt mit Wellen der blutigen Revolutionen der 50er bis 90er Jahre nun mit gewaltfreien Bewegungen zu tun haben.

Halten wir diese epochale Wendung hoch und hoffen auf eine friedliche Zukunft unseres Landes und unserer jungen Generation.


Abbas Amir Entezam
Teheran, den 23. Januar 2005
www.iran-amirentezam.com
Email: eentezam@morva.net

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