Thursday, September 08, 2005

 

Die Gefahr der Kettenreaktion

Wenn Iran die Bombe besitzt, wird das Gleichgewicht der Region zerstört und Europa geschwächt

von Oliver Thränert

Berlin - Fast zwei Jahre haben Frankreich, Großbritannien und Deutschland, unterstützt vom Hohen Beauftragten der EU für Außenpolitik Solana, mit Iran wegen dessen Atomprogramm verhandelt. Vergeblich. Am 5. August wies Teheran das europäische Verhandlungsangebot brüsk zurück.
In der Region des Nahen und Mittleren Ostens hätte ein atomar bewaffneter Iran negative Folgen. In Israel gilt eine Atommacht Iran als unakzeptabel. Aber auch die arabischen Staaten würden sich damit kaum abfinden, fürchten sie doch den persischen Anspruch auf eine Vormachtstellung. Deshalb könnten Saudis oder Ägypter versucht sein, selbst die nukleare Karte zu ziehen. Selbst pakistanische Militärs, die schon Kernwaffen besitzen, zeigen sich besorgt. Mit anderen Worten: Es drohte eine nukleare Eskalation in der konfliktbeladenen europäischen Nachbarregion des Mittleren Ostens.
Die skizzierte regionale Entwicklung hätte global wohl das Ende des Atomwaffensperrvertrages zur Folge. Die internationale Norm gegen die Verbreitung von Kernwaffen fiele weg. Ohne daß es zu nuklearen Automatismen kommen muß, wäre dann auch das Entstehen weiterer neuer Kernwaffenmächte möglich. In Japan wackelt allmählich wegen der nordkoreanischen Bedrohung das nukleare Tabu. Technisch wäre das Land sehr schnell in der Lage, Kernwaffen zu bauen. Dies gilt - wenn auch eingeschränkt - ebenso für Südkorea und Taiwan. Vielleicht würden sogar Brasilien, Argentinien oder Südafrika zu einstigen Nuklearprogrammen zurückkehren. Und: Wer wollte in einer Welt mit zwanzig Kernwaffenstaaten sicher sein, daß Terroristen auf Dauer keinen Zugang zu Atombomben oder waffenfähigem Material hätten?
Die EU hat die Verbreitung von ABC-Waffen in ihrer Sicherheitsstrategie als die größte Bedrohung beschrieben. Mit dem Ende des Atomwaffensperrvertrags würde Europa sein wichtigstes Instrument der multilateralen Einhegung atomarer Gefahren verlieren. Sollten Länder wie Iran nicht nur Kernwaffen entwickeln, sondern auch ihre Raketenprogramme weiter vorantreiben, könnte Europa eines Tages selbst ins Visier geraten. Angriffe könnte es wohl mit den französischen, britischen und - im Kontext der Nato - amerikanischen Nuklearpotentialen erfolgreich abschrecken. Doch würde es die Fähigkeit verlieren, mittels militärischer Gegengewalt Aggressoren zu bekämpfen und die internationale Ordnung wiederherzustellen. Denn die Aggressoren, ausgerüstet mit Atomraketen, könnten Europa abschrecken.
Es gibt also viele Gründe, eine atomare Bewaffnung Irans zu verhindern. Wenn Verhandlungen mit Iran keinen Erfolg bringen, muß daher der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingeschaltet werden. Dieser Gang würde wegen der unterschiedlichen Interessen der Beteiligten schwierig. Er wäre auch für Europa nicht kostenlos. Trotzdem müssen die Europäer aus den genannten Gründen an der Handlungsfähigkeit des höchsten internationalen Gremiums interessiert sein.
Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist europäische Einigkeit. Ein enger Schulterschluß mit Washington wäre unverzichtbar. Angesichts mancher Verstimmung im transatlantischen Verhältnis sowie einer noch immer unklaren amerikanischen Iran-Strategie leichter gesagt als getan. Auch Rußland ist ein wichtiger Partner. Moskau verkauft Teheran konventionelle Rüstungsgüter und könnte Iran durch einen Lieferboykott empfindlich treffen. Ohne russische Brennstäbe kann das iranische Kernkraftwerk in Buschehr nicht wie geplant 2006 in Betrieb gehen. Aber Rußland dürfte für entsprechende Geschäftsverluste einen Ausgleich erwarten. Ob es gelingen würde, China von Sanktionen gegen Iran zu überzeugen, ist fraglich. Denn Iran ist zu einem wichtigen Lieferanten von Öl und Erdgas für Peking aufgestiegen. Wahrscheinlich würde ein Ölboykott aber nicht die erste Maßnahme sein, die in New York ergriffen würde. Denn dies hätte einen weiter steigenden Ölpreis und somit negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft zur Folge. Vermutlich würde man daher zunächst damit beginnen, Iran noch strenger als bisher von allen Technologien abzuschneiden, die auch militärisch genutzt werden können.

Sollte sich der UN-Sicherheitsrat als nicht handlungsfähig erweisen, obwohl er die Verbreitung von ABC-Waffen mehrfach als eine zentrale Bedrohung des Weltfriedens beschrieben hat, würden die Vereinten Nationen entwertet. Eine Entwicklung, die gerade aus europäischer Perspektive nicht gewünscht werden kann.

Dr. Oliver Thränert leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin.

[+/-] show/hide this post
# posted by International@jomhouri.com @ 7:54 AM
Comments: Post a Comment

<< Home

This page is powered by Blogger. Isn't yours?